Unter der Moderation von Benedikt Weingartner fand am 18.Dezember 2018 im Haus der EU ein weiterer Abend der Gesprächsreihe „Europa: Dialog“ statt, nämlich mit Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI). ESI ist ein Think-Tank, der sich vorwiegend mit Problemen im Zusammenhang mit Menschenrechten und Asyl beschäftigt. Nach Angabe Knaus´ erarbeitet die von ihm gegründete Organisation seit 1999 Analysen zu diesen international äußerst bedeutenden Themengebieten, wobei ihre Berichte laut Knaus zwischen „populärwissenschaftlichem und akademischen Niveau schwanken“. Knaus befasste sich im Wesentlichen mit der europäischen Migrationspolitik der letzten drei Jahre.
Knaus eröffnete das Gespräch mit einer kurzen Zusammenfassung der europäischen Flüchtlingspolitik von 2015 bis 2018. Besonders ging er auf Victor Orbans Flüchtlingspolitik ein und kritisierte diesen für seine Eigeninitiative im Umgang mit der Migrationsproblematik. In weiterer Folge referierte Knaus über die EU–Türkei-Vereinbarung, die von der Europäischen Stabilitätsinitiative entwickelt wurde. Damit wird seit 2016 die Reduzierung der Bewegung von Flüchtlingen und Migranten über die Türkei in die Europäische Union erreicht. Ausführlich sprach er über die Umsetzung des Abkommens.
Knaus meinte zur häufigen Diskussionsfrage, ob die Migrationskrise durch den mangelhaften Schutz der EU-Außengrenzen bedingt sei, dass das Hauptproblem darin bestehe, dass der Außengrenzschutz weiterhin in der Zuständigkeit des jeweiligen EU-Mitgliedstaates liegt und die Grenzschutzagentur Frontex nur eine Assistenzfunktion hat. Dazu Frontex umgehend auf 10.000 Beamte aufzustocken, fand bisher keine Einigung.
Knaus positionierte sich gegenüber großen Teilen der Europäischen Migrationspolitik der letzten Jahre kritisch. So sei 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise das Mittelmeer die „tödlichste Grenze der Welt“ gewesen. Auch die Frage, ob es ein Recht auf Migration gäbe, wurde im Gespräch aufgegriffen. Knaus vertritt den Standpunkt, dass es zwar kein Recht auf Migration gebe, allerdings dürfe prinzipiell jeder Mensch in Europa um Asyl ansuchen. Eine geringe Aufnahmewahrscheinlichkeit sieht er für Antragssteller aus sicheren Herkunftsländern. Das darauffolgende Asylverfahren solle „transparent, menschenrechtskonform und in Einklang mit unseren [europäischen] Werten stehen.“
Anschließend ging es um die Vorstellung seines Vorschlages zur Reformierung des Asylsystems. Sein Plan sieht ein Dreisäulenmodell vor: Erstens sollen die Verfahren beschleunigt werden, da diese laut Knaus mitunter vier Jahre oder sogar noch länger dauerten. Zweitens sollen die Herkunftsländer finanziell unterstützt werden. Drittens soll es vermehrt Rücknahmeabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei_Pakts geben. Dabei solle die EU mit den Herkunftsländern der Asylsuchenden auf „Augenhöhe“ und nicht autoritär agieren, um eine gute Zusammenarbeit zu gewährleisten.
Während er den Zuhörern die drei Säulen erklärte, bemängelte Knaus mehrfach, dass aus seiner Sicht in den vergangenen Jahren „internationales Recht wiederholt massiv verletzt wurde und Migrationspolitik auf nationaler Ebene entweder scheitere, oder rechtswidrig sei“. Dabei nannte er vor allem Ungarn mit dessen Regierungschef Orban, die polnische Regierung sowie die FPÖ. So „entferne sich die polnische Regierung konsequent von Rechtsstaatlichkeit und die Freiheitlichen ständen bei allen die Migrationspolitik betreffenden Entscheidungen auf der falschen Seite“.
Knaus widmete sich auch der Frage, wie es denn sein könne, dass im vergangenen Jahr (2017) 220 000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag stellen konnten, obwohl die neue österreichische Regierung strengere Grenzkontrollen angekündigt hatte. Eine explizite Beantwortung dieser Frage folgte jedoch nicht, da sich Knaus, laut eigenen Angaben „nicht ausreichend mit der Migrationspolitik der österreichischen Bundesregierung befasst habe“. Knaus hob auch ein Problemfeld der Europäer als Gemeinschaft hervor. So beruhe die aktuelle Einstellung derselben auf einem „fehlenden Verantwortungsbewusstsein und niemand fühle sich so recht für die Asylbewerber zuständig.“
Nach der Fragerunde und der Schlussworte Knaus´ und des Moderators bestand noch die Möglichkeit, sich im Foyer des Hauses der Europäischen Union mit anderen Gästen der Gesprächsreihe oder mit Herrn Knaus zu unterhalten und vielleicht noch die eine oder andere Frage zu stellen.
Verfasst von Maximilian Choroba und Christofer Hindler 7D
Gerald Knaus: © Europa:DIALOG / Gabriel Alarcon