Werden und Struktur unserer Schule

HOFRAT ELISABETH VOLKMER

Die Geschichte unserer Schule

Am 2. September 1971 waren es 25 Jahre, daß das “Bundesrealgymnasium für Mädchen Wien X" gegründet wurde. 25 Jahre sind im Leben einer Schule ein kurzer Zeitraum, doch waren es ereignisreiche Jahre, und es ist wohl angemessen, anläßlich dieses ersten Jubiläums der Anstalt einen kurzen Rück­blick auf ihre Geschichte zu werfen. Das Eigenleben der Schule begann mit dem Schuljahr 1946/47 durch eine Abtrennung der Mädchenklassen von der Bundesrealschule Wien X.

Diese Realschule wurde nach dem Ersten Weltkrieg auch für Mädchen zugänglich, welche bald alle Klassen besuchten, wenn auch zunächst nur in geringer Anzahl. Im Schuljahr 1927/28 war jedoch die Zahl der weiblichen Schüler in den Unterklassen so groß geworden — von insgesamt 653 Schülern waren 177 Mädchen —,daß man dazu überging, Kna­ben und Mädchen in getrennten Klassen zu führen, und zwar zuerst nach dem Lehrplan der Deutschen Mittelschule, ab dem Schuljahr 1929/30 aber nach dem Lehrplan der Realschule. Die koedukativ geführten Klassen der Oberstufe waren vom Schuljahr 1928/29 an zum Teil Real­schule, zum Teil Realgymnasium. Ab 1934 wurde für die Mädchen das Oberlyzeum eingerichtet, und in den Jahren 1938-1945 wurden sie schließlich nach dem Lehrplan der Oberschule für Mädchen, sprachliche Form, unterrichtet. Gegen Ende des Krieges, am 8. Februar 1945, wurde das Schulhaus der Realschule Wien X in der Jagdgasse durch Bombentreffer sehr schwer beschädigt und während der Kriegs­handlungen in Wien durch Brand vollständig unbenutzbar. So war die große Anstalt gezwun­gen, in andere Gebäude als Untermieter einzu­ziehen, und zwar zunächst in die Mädchenmittel­schule auf dem Wiedner Gürtel und später in die Handelsakademie Wien l. Zu Beginn des Schuljahres 1946/47 wurden dann die Mädchenklassen als selbständige Anstalt unter eigener Direktion als “Bundesrealgym­nasium für Mädchen Wien X" gegründet und in das Bundesrealgymnasium für Mädchen Wien VI, Rahlgasse 4, als Untermieter eingewiesen. Die neue Mädchenschule umfaßte damals insgesamt 8 Klassen mit 237 Schülerinnen, leider aber keine erste Klasse, da wohl mit Hinblick auf die bevorstehende Abtrennung der Mädchen von der Realschule X für das Schuljahr 1946/47 keine 1. Klasse mehr aufgenommen worden war. Das Schulgebäude in der Rahlgasse hatte na­türlich auch unter den Kriegseinwirkungen ge­litten, aber es war soweit benutzbar, daß für die Stammanstalt am Vormittag ein einigermaßen normaler Unterricht gehalten werden konnte. Anders war die Situation am Nachmittag. Der Winter 1946/47 wird allen, die ihn miterlebt ha­ben, unvergeßlich bleiben.

Das wenige vorhandene Brennmaterial reichte nur für eine mäßige Beheizung am Vormittag. Am Nachmittag wurde es immer kälter, und Lehrer und Schüler saßen in Mänteln und mit Handschuhen in den Klassen und hüllten sich in mitgebrachte Decken ein. Wenn es dann dunkel wurde und der Stromverbrauch stieg, kam es sehr oft zum Zusammenbruch der Strom­versorgung, und man mußte die Kinder bei dürf­tigstem Kerzenlicht aus dem Hause führen. Und diese Kinder mußten dann zu Fuß — denn auch die Straßenbahn konnte ja nicht fahren — in der Dunkelheit und der Unsicherheit der damaligen Zeit ihren Heimweg in den 10. Bezirk antreten. Es war daher wirklich verständlich, daß in dieser Periode zahlreiche Schülerabmeldungen erfolg­ten, weil es die Eltern natürlich vorzogen, ihre Kinder am hellen Vormittag in noch einigerma­ßen geheizte Schulen zu schicken. Die Schülerzahl sank damals von 237 auf 191. Diese außerordentlich schwierigen lokalen Ver­hältnisse machten es daher notwendig, an eine neuerliche Übersiedlung zu denken, und ab Jänner 1947 wurde die Anstalt in das Gebäude der Realschule Wien IV, Waltergasse 7, verlegt. Auch dieses Gebäude war sehr stark beschädigt, und nur durch die Initiative und Aktivität des Direktors, der Lehrer, der Schulwarte, der Schü­ler und ihrer Eltern in einen einigermaßen be­nützungsfähigen Zustand versetzt worden.

Immerhin war in diesem Gebäude so viel Platz, daß beide Anstalten gleichzeitig am Vormittag unterrichtet werden konnten. Die Übersiedlung erfolgte nach den Weihnachts­ferien und war denkbar einfach: Die Schule be­stand nur aus Lehrern und Schülern und besaß keinerlei Inventar. Die gesamte Einrichtung der Direktion konnte in einer Aktentasche befördert werden.

Die Beschaffung der nötigen Schulmöbel machte die größten Schwierigkeiten: Zum Teil erhielten wir gebrauchte Bänke aus der Schweiz, zum anderen Teil wurden von ausgeschiedenen Bänken an anderen Schulen Wiens noch verwendbare ausgesucht und behelfsmäßig repariert. Die Schule konnte die Lehrsäle und Lehrmittelsammlungen der Stammanstalt mitbenutzen und fand in jeder Hinsicht wertvolle Unterstützung.

An das besonders hilfsbereite Entgegenkommen der Direktion und des gesamten Lehrkörpers der Realschule IV denken wir noch heute mit Dankbarkeit.

Aber trotz dieser, für die damalige Zeit relativ günstigen Verhältnisse litt die Anstalt unter dem Nachteil, nicht im eigenen Haus und nicht im Heimatbezirk leben zu können, und unter diesen Umständen wurde auch die Konkurrenz der alteingesessenen Mädchenmittelschule auf dem Wiedner Gürtel stark fühlbar, da sie ja für einen Teil der Schülerinnen aus dem 10. Bezirk sehr günstig gelegen war.

So kam es zu einem weiteren Rückgang der Schülerzahl, und es mußten leider auch zu schwach besetzte Klassen aufgelöst und die Schülerinnen an die Schule auf dem Wiedner Gürtel abgetreten werden.

Im Schuljahr 1950/51 war dann der traurige Tiefpunkt erreicht: Die Anstalt hatte nur mehr 6 Klassen mit 166 Schülern! Es sah aus, als ob sie zum Tode verurteilt wäre.

Doch es kam anders, es ging wieder aufwärts! Informative Briefe über die Existenz dieser Anstalt wurden an die Volksschulen und Elternvereine des 10. Bezirks ausgesandt. Und schon im Schuljahr 1951/52 konnten 2 erste Klassen aufgenommen werden. Es sprach sich herum, daß es diese Anstalt gab, und bis zum Schuljahr 1954/55 hatte sie bereits 12 Klassen mit 366 Schülern. Lange Bemühungen um die Rückführung in den Heimatbezirk Favoriten führten endlich in diesem Schuljahr auch dazu, daß die Übersiedlung für das Schuljahr 1955/56 festgelegt werden konnte. Die Anmeldungen für die ersten Klassen dieses Schuljahres wurden bereits im zukünftigen Schulhaus durchgeführt. Es war auch höchste Zeit, daß die Gastgeberschule endlich wieder allein über ihr Haus verfügen konnte, denn auch sie war an Klassen und Schülerzahl beträchtlich gewachsen, und es herrschten schon recht beengte Verhältnisse.

Mit Beginn des Schuljahres 1955/56 zog das Favoritner Mädchenrealgymnasium endlich in ein eigenes Haus in seinem Heimatbezirk, in die ehemalige Hauptschule in der Puchsbaumgasse 55.

Auch hier war der Anfang wieder sehr schwierig. Zunächst standen nur genau so viele Räume, als die Schule Klassen besaß, und ein Lehrerzimmer zur Verfügung. Der Gebäudeteil in der Laaer-Berg-Straße war eine zerbombte Baustelle, und ein 3. Geschoß wurde erst aufgebaut.

Es gab keine Tafeln in den Klassen, blaues Packpapier, an der Wand befestigt, mußte längere Zeit als Ersatz dienen. Eine ganz bescheidene, in den vorangegangenen Jahren aufgebaute Lehrer- und Schülerbücherei mußte auf dem Fußboden des Lehrerzimmers aufgelegt werden, weil es noch keine andere Einrichtung als die notwendigen Schulbänke gab. Aber nach und nach wurde das gesamte Haus, auch der neu aufgebaute Teil, mit den nötigen Möbeln usw. ausgestattet, bescheidene Lehrmittelsammlungen und sonstige Unterrichtsbehelfe angeschafft. Am 20. März 1958 wurde durch einen Besuch des damaligen Bundesministers für Unterricht, Dr. Heinrich Drimmel, und des Präsidenten des Stadtschulrates für Wien, Dr. Leopold Zechner, das Schulhaus offiziell zur Benützung übergeben — und schon war es zu klein!

Zur Zeit der Planung (1952/53) gab es 8 Klassen mit 278 Schülern, zur Zeit der Übersiedlung (1955/56) 14 Klassen und nach der Fertigstellung (1957/58) 20 Klassen mit bereits 578 Schülern. Die Planung war auf der Annahme von 18 Klassen erfolgt. Wie stark die Schule ein Bedürfnis des Bezirkes war, geht aus den weiter steigenden Klassen- und Schülerzahlen hervor: 1970/71 - 25 Klassen mit 718 Schülern.

Dazu muß festgestellt werden, daß schon seit mehreren Jahren keineswegs alle Schülerinnen, die sich anmeldeten, aufgenommen werden konnten. Es ist aus Raumgründen schon lange nicht mehr möglich, mehr als 3 erste Klassen aufzunehmen, obwohl dem derzeitigen Bedarf ca. 5—6 erste Klassen entsprächen.

Was einst unsere große Sorge war — die niedrige Schülerzahl —, hat sich ins Gegenteil gewandelt, und es müssen mit vereinten Kräften aller Beteiligten viele Schülerinnen heute auf verschiedene benachbarte Schulen aufgeteilt werden.

Der Bezirk Favoriten würde auf Grund der großen Bevölkerungszahl wesentlich mehr weiterführende Schulen brauchen.

Einige Zahlen können dies eindrucksvoll illustrieren:

Im Schuljahr 1962/63 gingen von insgesamt 962 Abgängern der 4. Volksschulklassen 166 in eine AHS (Allgemeinbildende Höhere Schule), das waren 17,25%, und zwar von 544 Knaben — 104 (19,11%) und von 418 Mädchen - 62 (14,83%).

Im Schuljahr 1971/72 werden von 1557 Volksschülern voraussichtlich 557 (35,77%) eine AHS besuchen, und zwar von 812 Knaben — 290 (35,71%) und von 745 Mädchen - 267 (35,83%). Die Abgängerzahl der Volksschüler ist also seit Jahren ansteigend, die Aufnahmefähigkeit der AHS gleich geblieben.

Wie eingangs erwähnt, wurde die Anstalt als Realgymnasium gegründet. Im Schuljahr 1954/55 wurde mit dem Aufbau von Frauenoberschul-klassen begonnen, in der Annahme, daß nach der Übersiedlung in den Heimatbezirk ein starkes Bedürfnis nach Übertrittsmöglichkeiten von der Hauptschule in eine Mittelschule bestehen würde. Relativ wenige Schülerinnen machten davon Gebrauch. , Auf Grund der neuen Schulgesetze werden ab 1963/64 an der Anstalt 3 Typen geführt: das Neusprachliche Gymnasium, das Naturwissenschaftliche Realgymnasium und das Wirtschaftskundliche Realgymnasium mit je einer ungefähr gleich stark besetzten Klasse.

Abschließend möchte ich als Direktor, der die Schule durch die ersten 25 Jahre begleitet hat, danken: besonders herzlich den Kolleginnen, die von den Gründungstagen an treu alle schweren Zeiten des Aufbaues bis heute durchgehalten haben, allen übrigen Kolleginnen und Kollegen für ihre Arbeit an der Schule und für die Schule, allen Eltern für ihre verständnisvolle, harmonische Zusammenarbeit mit uns Lehrern im Interesse

der Kinder und auch allen Behörden und ihren Vertretern, die unsere Anstalt betreut und gefördert haben.

Und es sei mir erlaubt, zum Geburtstag der Schule einen Wunsch zu äußern: Es besteht seit längerer Zeit ein Plan, für unsere Schule ein neues Haus zu bauen. Hoffentlich kann dieser Plan bald Wirklichkeit werden, damit die Schule sich aus ihrer räumlichen Beengtheit weiterentwickeln und mit entsprechender Ausstattung auch einen Unterricht, der modernen Anforderungen entspricht, führen kann.